Beim ersten Mal habe ich es für ein Versehen gehalten. Natürlich habe ich mich auch geärgert, weil der kleine Schraubverschluss an der Kaffeemilchpackung sich einfach nicht vom Ausgussloch trennen wollte. Folge: Die Kappe schob sich vors Loch. Die Kaffeemilch landete nicht nur in der Tasse, sondern auch auf dem Tisch. Als ich wenig später eine Wasserflasche aufdrehte und mit dem gleichen Phänomen konfrontiert wurde (Hemd und Hose wiesen nach dem Trinken gut sichtbare Wasserflecken auf), wuchs der Verdacht, es könne sich um Absicht handeln.
Nach ein paar Tagen und weiteren unerwünschten Erfahrungen bei Einschenkversuchen aus Plastikflaschen oder Tetrapackungen erfuhr ich aus dem Radio, was mir von jetzt auf gleich den Tag versaute: „Ab dem 3. Juli 2024 dürfen Einweggetränkebehälter aus Kunststoff nur noch in Verkehr gebracht werden, wenn ihre Kunststoffverschlüsse und -deckel für die gesamte Nutzungsphase fest mit den Behältern verbunden sind.“ Ich habe weiter erfahren, dass die Bundesregierung das schon im Februar 2021 beschlossen hat. Ich sag ja, diese Ampelregierung! Moment mal. Da war ja noch die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD im Amt.
Und was soll das Ganze nun? „Mit der Einwegkunststoffkennzeichnungsverordnung (EWKKennzV) wird nach der Einwegkunststoffverbotsverordnung und dem Gesetzentwurf zur Umsetzung von Vorgaben der Einwegkunststoffrichtlinie und der Abfallrahmenrichtlinie im Verpackungsgesetz und in anderen Gesetzen eine weitere Maßnahme der Richtlinie 2919/904 des Europäischen Parlamentes und Rates vom 5. Juni 2019 über die Verringerung der Auswirkungen bestimmter Kunststoffprodukte auf die Umwelt umgesetzt.“ Alles klar?
Bei mir nicht. Ich bin am Strand auch noch nie auf einen Drehverschluss getreten, musste eher über die Splitter zerdepperter Bierflaschen tapsen. Ich habe vor dem 3. Juli 2024 bei keiner Wasserflasche den Deckel abgedreht und ihn irgendwo in der Natur entsorgt. Wie doof müsste ich sein, wäre doch die Kohlensäure aus der Pulle entwichen. Und warum sollte ich bei halbvollen Sahne-, Milch- oder Fruchtsaftpackungen die Kappe wegwerfen? Für wie blöd halten mich die Gesetzesentwickler in den Schreibstuben auf europäischer Ebene?
Ich habe jedenfalls reagiert. Jungs hatten früher stets ein Taschenmesser bei sich, mit Flaschenöffner und anderen notwendigen Funktionen. Ich habe mein altes Schweizer Messer wieder aktiviert (obwohl die Schweiz nicht zur EU gehört), trage es jetzt ständig bei mir, um mit einem Schnitt den Plastikschnipsel von der Kappe zu trennen und wieder fleckenfrei trinken und eingießen zu können.
Was mir allerdings bei dieser europäischen Schnipselattacke durch den Kopf gegangen ist: Gibt es eigentlich seit Jahrzehnten schon ein solches Gesetz für Fischkonserven mit Aufreißlasche, deren Deckel sich niemals widerstandslos und fleckenfrei von der Dose trennen lässt? Es würde für mich einiges erklären. Und noch ein Gedanke: Ich habe am Strand ganz, ganz selten mal einen Plastikschraubverschluss gefunden, aber sehr oft Kronkorken von Bierflaschen. Eine neue Herausforderung für Brüsseler Bürokraten? Na dann mal Plopp!
Eckard Schulz