St.-Georg-Kirche im Mai 2016

 © Birger Schwarz

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

Und Frieden auf Erden…?

Kriege und politische Unwägbarkeiten – Und welche Rolle hat Kirche in diesen Zeiten?

Es ist der zweite Tag nacheinander, an dem weder der Krieg im Nahen Osten noch der Krieg in der Ukraine die Nachrichten in der Tagesschau anführen. Am 8. November geht es um das Platzen der Ampelkoalition in Deutschland und die erneute Wahl eines verurteilten Kriminellen zum Präsidenten der Vereinigten Staaten. Mir fällt ein, dass in gut sechs Wochen der Meinerdinger Pastor die Weihnachtsbotschaft verlesen wird: „Und alsbald war da bei dem Engel die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden bei den Menschen.“

Friede auf Erden? Aus einer jahrzehntelangen Selbstverständlichkeit ist ein frommer unerfüllbarer Wunsch geworden. Ist das heute ein anderes Gefühl, wenn er die Weihnachtsbotschaft von der Kanzel verkündet? Thomas Delventhal muss die Frage länger sacken lassen. Die Kriege, das Leid der Menschen seien sehr präsent und nah. Da sei eine gewisse Ohnmacht und Fassungslosigkeit, wenn Machthaber aus reinem taktischen Kalkül Kriege am Brodeln hielten und nicht friedensbereit seien. „Wenn solche Menschen Krieg wollen, wie will man da Frieden schaffen? Da kommen wir mit unseren bisherigen Maßstäben an Grenzen. Krieg tötet Menschlichkeit und Menschen“, sagt Meinerdingens Pastor.

Was machen die Bilder aus der Ukraine und dem Nahen Osten bei den Menschen, speziell bei den älteren, wenn er sie besucht? „Die den Krieg miterlebt haben, die haben auf alle Fälle Angst. Das spürst du“, weiß er aus seinen Gesprächen. Eine Frau habe ihm erzählt, dass sie 1945 vor den Russen aus Odessa geflüchtet sei. „Und jetzt flüchten sie wieder, hat sie mir gesagt und geweint.“ Es seien unerträgliche Erzählungen, die ihn da manchmal erreichten. „Sie sagen immer wieder, sie hätten gedacht, dass es nie wieder Krieg geben würde, und dann wiederholen sich die Ereignisse. Alle, die den Krieg miterlebt haben, sagen dir, dass Krieg das Schlimmste auf der Welt ist“, fasst Meinerdingens Pastor den Inhalt aktueller Gespräche zusammen.

Das „Erzählen von früher“ sei mehr geworden. Durch die Berichte und Bilder über die aktuellen Kriege würden eigene Erinnerungen an Kriegserlebnisse angestoßen. Er merke, dass es den Menschen gut tut, wenn sie erzählen können. Er übernehme die Rolle des Zuhörers. „Es nimmt ihnen vielleicht ein wenig Angst. Es ist gut, so etwas zu teilen“, hat er erfahren.

Kirchen sind in der Vergangenheit gerade in politischen Krisenzeiten Zufluchtsorte für Menschen geworden. Bei den Friedensdemos in der ehemaligen DDR war Kirche Keimzelle des Widerstands und der Hoffnung. Kommen in aktuellen Krisenzeiten mehr Menschen in die Kirche? Kirche sei wirklich ein Ort für Trost und Hoffnung. Hier könne man ganz anders über die aktuelle Lage, über Krisen und Kriege reden. Das sei stets getragen von Trost und Hoffnung und Mitgefühl für die Menschen, die durch Kriege verfolgt und vom Leben abgeschnitten seien.

Und wie wirkt sich die allgemeine politische und gesellschaftliche Entwicklung auf ihn selbst aus? Natürlich bereite es ihm Sorge, sorge gleichzeitig für Ratlosigkeit. Es erschüttere ihn, wenn angefangen in Berlin demokratisch gewählte Verantwortliche nicht in der Lage seien, miteinander um Themen zu streiten, sondern nur das Streben nach eigener Macht im Mittelpunkt stehe. „Es gibt so viele Herausforderungen, und man setzt sich nicht zusammen, sondern jeder verfolgt nur die eigenen Interessen“, ist Pastor Delventhal erschüttert. Kriege, Radikalisierung in der Gesellschaft, Unberechenbarkeit in der Politik. Hat das stets beschworene Gottvertrauen seine Bedeutung verloren? „Nein“, widerspricht Meinerdingens Pastor. Wenn es die beschriebene Entwicklung gebe, dann wachse das Gottvertrauen, dann werde das Vertrauen auf Gott umso wichtiger. Und wo ist die Kirche? Wo meldet sie sich zu Wort? Nimmt sie ihre Rolle als Teil der Gesellschaft wirklich wahr oder schweigt sie hinter dicken Kirchenmauern?

Diese Krisen seien eine große Chance für die Kirche, den Menschen Halt und Orientierung zu vermitteln. „Die Menschen brauchen klare Worte, an denen sie sich gerade in ungewissen Zeiten orientieren können, was ihnen festen Boden unter die Füße gibt. Aus Gottvertrauen kann man die Verantwortung nehmen, damit die Vernunft unter den Menschen wieder mehr wird.“ Und ja, es sei sicherlich Zeit für die Kirche, sich einzumischen. Die ehemalige Landesbischöfin Käsmann habe das getan, als sie die Beteiligung der Bundesrepublik am Afghanistankrieg in ihrer Predigt kritisiert habe. „Man muss die Dinge beim Namen nennen, sagen, was nicht gut ist und die Verantwortlichen fordern und mahnen, dass sie wirklich Verantwortung haben. Diese Rolle darf und muss Kirche einnehmen“, fordert Meinerdingens Pastor Thomas Delventhal.

Eckard Schulz