St.-Georg-Kirche im Mai 2016

 © Birger Schwarz

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

Und plötzlich bist du fast erwachsen

Nachricht Meinerdingen, 04. Juni 2023

Beobachtungen aus dem Alltag / Von Konfirmationsanzug und Geschirrtüchern als Geschenke

Kirche_Zeichnung
Bild: Kirche

Die Konfirmation sorgte bei uns für fast so viel Unruhe, wie die Krönungsvorbereitungen von König Charles im britischen Königshaus. Alles nur „etwas“ kleiner, aber auch generalstabsmäßig. In unserem Wohnzimmer, geschätzt 4x4 Meter mussten alle Gäste von nah und fern untergebracht werden. Und das waren viele. Onkel und Tanten aus Schwarmstedt, Itzehoe und Hamburg. Über 20 Personen mussten an der Festtafel, eingedeckt mit dem guten Goldrandservice, untergebracht werden. Das ging vor knapp 60 Jahren.

Tante Martha – als Kinder waren nicht nur die tatsächlichen Onkel und Tanten, sondern alle Erwachsenen aus dem Freundes- und Bekanntenkreis meiner Eltern für uns „Onkel“ oder „Tante“. Und Tante Martha führte zu meiner Konfirmation das Regiment in unserer Küche. Hochzeitssuppe, Braten, Pudding als Nachtisch. Das Menü war perfekt und so üppig zubereitet, dass am darauffolgenden Tag auch noch die Nachbarn gut satt wurden. Es gehörte dazu, dass die Nachbarn eingeladen wurden. Man kannte sich nicht nur, sondern verbrachte auch im Alltag Zeit miteinander, half sich, wenn Hilfe gebraucht wurde.

So trug ich an zwei aufeinander folgenden Tagen meinen ersten Anzug, dunkelblau und alles andere als ein Kleidungsstück zum Wohlfühlen für Jungs. Er war ein Geschenk meines Patenonkels Heini, von dem ich bis dato nicht wusste, dass er mein Patenonkel war. Er möglicherweise auch nicht mehr. Von meinen Eltern bekam ich eine Armbanduhr, Marke Junghans. Ich weiß nicht, ob sie bei einer nicht vorhandenen Wunschliste ganz oben gestanden hätte. Aber sie war irgendwie so was wie ein Zeichen fürs „Erwachsenenwerden“, das mit der Konfirmation eingeläutet wurde.

Auf einem kleinen Tisch im Hausflur stand ein Teller mit selbstgebackenem Butterkuchen. Jeder, der ein Geschenk oder eine Glückwunschkarte brachte, durfte sich ein Kuchenstück nehmen. Ich weiß, dass ich sehr viele Geschenke bekommen habe. Sie trugen im Rückblick durchweg das Prädikat „praktisch“. Ich gebe zu, die Freude über Geschirrhandtücher, nett verpackt mit Schleife im Dreierpack oder Frotteehandtücher war bei meiner Mutter größer als bei mir. Das galt auch für die vielen Blumentöpfe mit Hortensien oder Glockenblumen, die alle eine bunte Papierserviette trugen.

Ich merkte an diesem Konfirmationstag, dass ich irgendwie eine Stufe hochgerutscht war. Speziell die Onkel unterhielten sich jetzt ernsthaft mit mir, vorher hatten sie mich als Kind eher mehr oder weniger zur Kenntnis genommen. Im dunkelblauen Konfirmationsanzug schwoll meine Brust ein wenig vor Stolz, wenn ich Seite an Seite neben einem erwachsenen Anzugsträger stand.

Als nach drei Tagen (der dritte Tag war für alle Helferinnen) die Feierlichkeiten zu Ende waren, fand ich auch Zeit zum Kassensturz. Mein Fazit nach dem Zählen der Geldscheine in den Glückwunschkarten: Ich war reich! Ich meine, es waren rund 250 Mark zusammengekommen. Natürlich sind Geschenke und Geld nicht das wichtigste bei einer Konfirmation. Aber mal ehrlich, sie sind schon ein Grund, sich zu freuen.

Das Außergewöhnlichste für mich war, dass ich mir von diesem Geld wirklich kaufen durfte, was ich mir wünschte, ohne auf die Vorzüge einer Einzahlung aufs Sparbuch hingewiesen zu werden. Mit meinem Vater kaufte ich mir ein Kofferradio, Marke Telefunken Bajazzo, weiße Kunststoffverkleidung vorne am Lautsprecher, das Radio selbst dunkelgrün. Ich glaube, ich habe das Radio wie eine Trophäe nicht mehr aus den Augen gelassen.

Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit uns beiden. Als ich mit meinem Bruder im VW-Käfer meines Vaters zum Düshorner Badesee fuhr, hatte ich mein Kofferradio natürlich auf dem Schoß dabei, laut aufgedreht und die Antenne für einen besseren Empfang aus dem Fenster. Bei einem Ausweichmanöver kamen wir im Seitenstreifen ganz dicht, zu dicht, an einem Busch vorbei. Ich habe die Antenne nach längerer Suche im Graben wieder gefunden. Zu Hause habe ich sie mit Isolierband am Bajazzo festgeklebt. Der Empfang war nicht mehr erstklassig. Ich habe mich trotzdem erst viel, sehr viel später von meinem Konfirmationsgeschenk getrennt. Vom Konfirmationsanzug viel, viel früher.

Eckard Schulz