St.-Georg-Kirche im Mai 2016

 © Birger Schwarz

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

Wenn Hilfe mit Fäusten ausgeschlagen wird

Nachricht Meinerdingen, 27. März 2023

Beobachtungen aus einem Alltag, der nicht mehr zu begreifen ist

Die Schlagzeilen sind längst im Altpapier gelandet. Die Bilder von der explosiven Silvesternacht, die übrigens nicht nur in Problembezirken in Berlin ausartete, sind nur noch Archivmaterial, um im Fernsehen bei einer der täglichen Talkshows als Untermalung zu dienen, wenn Politiker, Psychologen, Politologen und Soziologen vergeblich nach nachvollziehbaren Lösungsansätzen gegen das suchen, was nicht zu begreifen ist. Gewalt gegen Menschen, die ihr Leben einsetzen, um Mitmenschen zu helfen, um Leben zu retten. Mich haben die Bilder sprachlos gemacht. Und genau deswegen ärgere ich mich über mich selbst.

In einer aktuellen Reportage sind Feuerwehrleute und Rettungssanitäter zu Wort gekommen. Sie haben aus ihrem Alltag erzählt, der aufgrund seiner Anforderungen und der Begegnung mit menschlichen Schicksalen oft an die Substanz geht. Doch andere Erlebnisse aus ihrem Alltag lassen aufhorchen. Etwa die Hälfte aller Einsatzkräfte in Großstädten haben im Einsatz Gewalt erlebt, mussten nicht nur Menschenleben retten, sondern um das eigene fürchten. Feuerwehrleute wurden in einen Hinterhalt gelockt und beim Versuch, einen Containerbrand zu löschen, mit einem Pflastersteinhagel „begrüßt“. In einigen städtischen Problembezirken rücken Rettungssanitäter nur noch mit Polizeischutz aus.

Zumeist waren es wohl Jugendliche, besonders junge Männer, die in der Silvesternacht mit Feuerwerkskörpern ihre Bürgerkriegsvideos fürs Internet drehten. Die Rettungs- und Einsatzkräfte, die dort mit Blaulicht zu Einsatzorten unterwegs waren, wurden zu unfreiwilligen Darstellern, mussten froh sein, unverletzt wieder in die Rettungswachen oder Polizeidienststellen zu kommen.

Die Silvesternacht war der sichtbare Höhepunkt der Gewalteskalation gegen Menschen, die hauptberuflich oder ehrenamtlich das Hab und Gut anderer oder sogar deren Leben retten. Zur Ausbildung der Helfer gehört inzwischen nicht nur der Erste-Hilfe-Kurs, sondern auch die Ausbildung in Selbstverteidigung. Und abends erklären „Experten“ im Fernsehen, dass die Gewalttäter nur gewalttätig sind, weil sie früher selbst Opfer von Gewalt wurden. Resozialisierung müsse das oberste Gebot sein. Bestrafung sei keine Lösung.

Man muss kein Feuerwehrmann oder Rettungssanitäter sein, um sprachlos und wütend zu sein. Ich habe von keinem Prozess geschweige der Verurteilung eines der Gewalttäter aus der Silvesternacht gehört oder gelesen. Angeblich reicht die Schärfe der Gesetze gegen solche Taten aus. Warum werden sie dann nicht angewandt? Wer so rücksichtlos gegen helfende Mitmenschen vorgeht, hat keine Bewährung, kein Verständnis, sondern schnelle Bestrafung verdient. Und dann bin ich an dem Punkt, an dem ich mich über mich selbst ärgere. Ich weiß, dass es Minderheiten sind, die für diese Straftaten stehen. Doch das ist kein Trost für die Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und Rettungsdiensten. Ich habe auch zu der schweigenden Mehrheit gehört. Ich frage mich, warum ich nicht aufgestanden bin, andere Menschen mobilisiert habe, für die Retter auf die Straße zu gehen. Eine friedliche Demonstration gegen unbegreifliche Gewalt, ein Bekenntnis zu denen, ohne die dieser Staat nicht funktioniert, ohne deren Einsatz viele Menschen nicht mehr leben würden. Ich hätte aufstehen sollen und bestimmt Mitstreiter gefunden. So bleibt es jetzt bei diesen Worten, großen Respekt und einem damit verbundenen Dank an die Helden und Heldinnen des Alltags.

Eckard Schulz