St.-Georg-Kirche im Mai 2016

 © Birger Schwarz

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

Wenn die Not erfinderisch macht

Nachricht Meinerdingen, 20. August 2023

Beobachtungen aus dem Alltag / Manchmal werden die talentlosesten „Handwerker“ mutig

Wenn zu Hause handwerkliche Arbeiten anstehen, freuen sich erfahrene Heimwerker, endlich zum Werkzeug greifen und aus Einzelteilen stabile, nutzbare, oft sogar schöne Werke anfertigen zu können. Talentlose Handwerker verweigern sich aus gutem Grund (und aufgrund eigener Erfahrungen) solchen Herausforderungen. „Schreiberlinge“ stehen in der letzten Reihe, wenn Freiwillige zum Handwerken gesucht werden. Ihre Fingerfertigkeit reicht zum Tippen auf der Computertastatur. Mit Handwerk im eigentlichen Sinne aber hat das nichts zu tun.

Doch es gibt Zeiten, in denen aus dem Talentlosesten im Umgang mit Hammer und Schraubenzieher mutige Akteure werden, die allen Unkenrufen zum Trotz mit wackligen Beinen auf die oberste Sprosse der Trittleiter steigen und Herausforderungen annehmen, die vorher unvorstellbar waren.

Diese Zeiten sind spätestens seit Corona akut und scheinen sich auch zeitnah nicht zu ändern. Handwerker, also richtig ausgebildete soll es noch geben. Doch sind ihre Auftragsbücher so voll, dass neue Aufträge erst in Fortsetzungsbänden Eingang finden. Das macht auch den Aufbau einer Terrassenüberdachung zum terminlichen Glücksspiel. Nach zweimaliger Terminabsage (jeweils am Morgen des Aufbautermins) kommen die Monteure, laden den Riesenanhänger ab und sorgen dafür, dass die Rasenfläche vor der Terrasse mit einer Unmenge an Teilen verdeckt ist. Abends steht die Überdachung. Die gläsernen Seitenteile werden exakt ausgemessen und sollen in sechs Wochen nachgeliefert und eingebaut werden. Unser Urteil: Superarbeit.

Ein kleines Manko ist da allerdings. In einer Stütze ist ein Loch eingefräst. Daraus soll das Regenwasser von der Dachrinne in eine Regentonne geleitet werden. Problem: Die beiden Monteure haben die Teile nicht dabei. „Bringen wir nächstes Mal mit“, kündigen sie an. Im ersten Moment kein Problem. Die Sonne scheint seit Tagen. Und acht Wochen vergehen ja relativ schnell.

„Was macht ihr eigentlich, wenn es so richtig schüttet?“, fragt uns ein Freund, der handwerklich mehr als geschickt ist. Achselzucken. Wird schon trocken bleiben. Doch Tag für Tag beschäftigt uns der Gedanke mehr, wo das Wasser aus der Dachrinne hinläuft, wenn es regnet. Durch die ausgefräste Öffnung in die Regentonne bestimmt nicht.

Zwei ausgewiesen talentlose Handwerker entwickeln Ablaufpläne. Die Öffnung in der Dachrinne wird ausgemessen. Man hat ja schon mal Klempner bei der Arbeit beobachtet, sie graue Rohre in verschiedener Größe und Durchmesser in Öffnungen einbauen sehen. So ein Ding oben in die Dachrinne, dann einen Schlauch mit entsprechendem Durchmesser und notwendiger Länge (die Tonne ist das Ziel) durchs Rohr und das ausgefräste Loch ziehen. Im Baumarkt gibt es ein unglaublich großes Angebot in einer Abteilung, die absolutes Neuland ist. Ganz genau passen die Teile nicht zu den Zahlen, die das Ausmessen mit dem Zollstock ergeben haben. Improvisation heißt das Zauberwort. „Was willst du denn bauen?“, fragt plötzlich eine Stimme hinter mir. Ein ehemaliger Mitschüler aus Volksschulzeiten, inzwischen Elektriker und Installateur, hört sich an, was ich ihm zu erklären versuche. Ein sehr mitleidiger Blick und der Satz „Na dann viel Glück“ lassen uns vor den Rohrstückregalen zurück. Wir machen uns gegenseitig Mut, messen in der Gartenschlauchabteilung Durchmesser und lassen zwei Meter von einem grünweißen Teichschlauch abschneiden.

Zu Hause geht es ohne Umwege auf die Trittleiter. Ganz bündig passt das Rohrstück nicht in den Abfluss. Aber das Wasser fließt ab, wie ein Selbstversuch mit Gießkanne zeigt. Nach mehreren Versuchen ist auch der Schlauch eingefädelt worden und schaut aus dem Loch in der Stütze. Erneuter Gießkannentest: Das Wasser läuft in die Regentonne! Es läuft auch nichts vorbei nach der Abdichtung mit Isolierband.

Beim ersten Regenschauer stehen wir wie zwei kleine Kinder vor der Weihnachtsbescherung an der Regentonne und bejubeln das Regenwasser, das tatsächlich über unsere Konstruktion in der Tonne landet. Inzwischen befindet sich am Ablaufhahn der Tonne ein sechs Meter langer Flexschlauch, der sich wie ein Feuerwehrschlauch aufbläht, wenn er mit Wasser gefüllt wird. Das geschieht bei den heftigen Regenschauern des Sommers 2023 häufiger. Stolz macht sich beim talentlosen Handwerker breit. Ich überlege schon, ob ich das Provisorium nicht zur Dauereinrichtung mache.

Eckard Schulz