St.-Georg-Kirche im Mai 2016

 © Birger Schwarz

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

„Der Mensch muss immer im Vordergrund stehen“

Nachricht Meinerdingen, 27. November 2020

Thomas Delventhal am 1. Dezember seit 25 Jahren Pastor der Kirchengemeinde Meinerdingen

Dieser Tag im September 1995 ist bei Thomas Delventhal immer noch sofort präsent, auch die Gefühle, die er und seine Frau Sigrid hatten, als sie zum ersten Mal das Kirchengelände in Meinerdingen sahen und mit Tochter Lena auf dem Arm und Sohn Lucas an der Hand die Kirchwiese betraten. Vom „Zauber der Kirchanlage“, spricht der Pastor und vom sicheren Gefühl, „unser Zuhause gefunden zu haben“. Aus dem Gefühl ist längst Gewissheit geworden, und noch etwas Besonderes ist geschehen:

In seiner 25-jährigen Amtszeit hat Thomas Delventhal die Meinerdinger Kirche und sein Zuhause zum besonderen Anziehungspunkt und inzwischen zum liebgewonnenen Zuhause für alle Gemeindemitglieder gemacht. Nach dem Theologiestudium trat Thomas Delventhal seine erste Pfarrstelle in seiner Heimatsstadt Stade an. Dann kam die Ausschreibung der Pfarrstelle in Meinerdingen. Hat er sich damals vorstellen können, 25 Jahre Pastor in Meinerdingen zu bleiben? Soweit denke man nicht, „aber es war sicher so, dass wir einen Platz gesucht haben, wo wir als Familie heimisch und wo unsere Kinder groß werden können“, sagt der 60-Jährige. Und Meinerdingen sei dieser Platz gewesen. Da sei er sich mit Ehefrau Sigrid einig gewesen. Und wer heute Lucas und Lena fragt, der hört, dass sich auch der Wunsch nach einer glücklichen Kindheit für den Nachwuchs erfüllt hat.

Ganz herzlich seien sie aufgenommen worden. „Uns ist jede Tür mit einem herzlichen Willkommen geöffnet worden, an der wir angeklopft haben“, blickt Thomas Delventhal an die Anfangszeit zurück. Mit seinen Ideen sei er unvoreingenommen unterstützt worden. Besonders einprägsame Erlebnisse? Ihm falle da eine Aussage von Anna Körner bei der Einweihung des Neubaus am Bestattungshaus ein. Sie habe darauf hingewiesen, dass viele Familien bei Trauerfällen immer wieder fragen, ob er die Beerdigung macht. Thomas Delventhal sei ein Menschenfreund. „Wo Thomas ist, ist Leben. Wo Leben ist, ist Thomas“, habe sie ihn gekennzeichnet. „So was tut natürlich gut“, gibt der Pastor zu, dass er sich über eine solch  ungewöhnliche Charakterisierung sehr gefreut hat.

Die Beschreibung trifft den Menschen und den Pastor dieser besonderen Kirchengemeinde, die zwar am Walsroder Stadtrand liegt, sehr oft für sehr viele Menschen aber zum Mittelpunkt des Miteinanders wird. Und den Titel des „kleinen gallischen Dorfes“ aus den legendären Asterix-Comics weist Thomas Delventhal auch nicht zurück, obwohl er sich nicht in der Rolle des Häuptlings sieht. In Meinerdingen funktioniert das Leben durch unzählige Ehrenamtliche, die zupacken, ohne zu fragen und einen Pastor, der sie machen lässt, allenfalls an unsichtbaren Fäden zieht und steuert.

Auf dem Weg zum heutigen lebendigen Meinerdingen habe es zwei elementare Säulen gegeben. Ganz entscheidend sei die Krabbelgruppe gewesen, die Ehefrau Sigrid (ausgebildete Erzieherin und studierte Sozialpädagogin) ins Leben rief. Zeitweise habe es vier Gruppen gegeben. Die Verbundenheit mit den jungen Familien in der Gemeinde sei sehr intensiv gewesen. Heute würden immer wieder Kinder aus den damaligen Krabbelgruppen den Weg zur Kirche und besonders zu Sigrid finden. „Heute haben sie selbst Familien.“

Für die zweite tragende Säule des Gemeindelebens war Thomas Delventhal zuständig. Er sei offensiv auf die örtlichen Vereine und Verbände zugegangen. „Die haben mich alle mit offenen Armen empfangen“, erinnert er sich. Vom ersten Tag an sei so ein Miteinander entstanden, das bis heute die Gemeinschaft trage, „und die Kirche ist dabei der Mittelpunkt“. Als er vor 25 Jahren angekommen sei, habe es eher ein Nebeneinander gegeben. „Meine Grundhaltung war und ist, dass das alles tätige Christen in der Gemeinde sind, die ihre Gaben unterschiedlich einbringen. Ich habe meine Aufgabe darin gesehen, dies als Gemeinschaft zu leben.“ Wie erfolgreich so etwas gehen kann, zeigte sich 1997 beim ersten Gemeindefest, das er mit seiner Frau organisierte. Leider fand am gleichen Tag auch das Kreisschützenfest statt, an dem die Meinerdinger und Vorbrücker Schützen natürlich mit großen Abordnungen teilnahmen. Doch sie hielten Wort. „Die sind nach dem Kreisschützenfest mit voller Besetzung und zwei Bussen bei uns vorgefahren. Es war ein gigantisches Fest“, ist die Begeisterung auch nach so langer Zeit immer noch in Erinnerung.

Die Beschreibung treffe es auf den Punkt, sagt Thomas Delventhal, als ich ihn frage, ob man als Pastor im ländlichen Raum keine Berührungsängste haben dürfe. „Ich habe dafür für mich den Begriff Tresenkompetenz erfunden“, lacht er. Er sei im Ort und in Vorbrück bei den Schützenfesten und der Honerdinger Feuerwehr gewesen. Beim Festessen im Vorbrücker Schützenkorps halte er jedes Jahr eine besondere Festrede. „Das Vorrecht hat sonst keiner“, weiß er seine Sonderrolle zu schätzen. Und früher habe er eben auch immer mit den Leuten am Tresen gestanden und auch Bier getrunken. „Und die Leute hatten keine Berührungsängste.“ Ist so etwas ein Zeichen dafür, dass Kirche heute weltlicher geworden ist? Thomas Delventhal kann mit der These wenig anfangen. „Das ist doch unser Job. Gott ist doch in Jesus Mensch geworden.“ Der Mensch müsse immer im Vordergrund stehen, nicht die Kirche. Durch die vielen Begegnungen mit den Menschen fühle er sich immer wieder reich beschenkt. Man müsse den Menschen immer von seinen Fähigkeiten her sehen, nicht von seinen Schwächen.

Eine besondere Rolle hat für den Meinerdinger Pastor immer die Arbeit mit Jugendlichen eingenommen, wobei er es nie als Arbeit, sondern auch als „Jungbrunnen“ für sich selbst empfunden hat. Ehefrau Sigrid weiß genau, wie beseelt Thomas Delventhal stets von Konfirmandenfreizeiten nach Hause kam, wo aus dem Pastor auch der Fuß- und Volleyballspieler wurde. Speziell mit seinem ehemaligen Volleyballteam hat Delventhal als Mannschafts-Käpt´n mehrfach die Turniere im Kirchenkreis gewonnen.

Der Meinerdinger Pastor hat eine besondere Gabe, den Zugang zu den Konfirmanden und Jugendlichen zu erreichen, weshalb einige von ihnen auch nach der Konfirmation immer noch den Weg zur Kirche finden, sich auch bei der Gottesdienst-Gestaltung mit einbringen. Und in Meinerdingen trifft man den Pastor und seine Konfirmanden auch schon mal auf dem Friedhof an, wo sie vor Ort die Bedeutung dieses Ortes begreifen lernen.

„Mit vielen Jugendlichen bin ich bis heute noch verbunden“, erzählt Thomas Delventhal. Viele seiner ehemaligen Konfirmanden hat er inzwischen getraut, ihre Kinder getauft. Und auch wenn bei Festen auf der Kirchwiese mal Hilfe benötigt wird, weiß der Pastor, dass er sich auf viele aus den Nachwuchsreihen verlassen kann, oft ein Anruf genügt. Oft klingelt auch bei ihm das Telefon, wenn ein ehemaliger Konfirmand in Meinerdingen zu Besuch ist. „Einer ist heute Richter, und er hat mir gesagt, dass er die freie Rede, die er heute in seinem Beruf braucht, hier bei mir in der Kirche während der Zeit im Gottesdienstteam gelernt hat. Das macht auch stolz“, gibt Thomas Delventhal zu.

Mit und bei den Menschen sein, das ist „Seines“.

Er gerät rasch ins Schwärmen, wenn er daran zurückdenkt, hier in Meinerdingen eine „Tauf- und Traukirche“ vorgefunden zu haben. „Ich trau doch so gerne. Es ist unglaublich schön, mit den Menschen mitzuschwingen, wenn sie im Traugespräch ihre Liebesgeschichte erzählen und sie dann begleiten zu dürfen, wenn sie an ihrem Hochzeitstag in Brautkleid und Anzug kommen.“ Bei Taufen sei es ein Geschenk, sich mit den jungen Eltern mitfreuen, das Strahlen in ihren Augen zu sehen. Manchmal sei er traurig, wenn sich Kirche als Behörde gebärde. „Dabei ist es doch für alle in der Kirche ein Riesengeschenk, mit und bei den Menschen zu sein. Man muss es leben, mit den Menschen leben, zu ihnen gehen.“ Darum habe auch das Kirch-Café funktioniert, „weil wir zu den Leuten gegangen sind. Die haben gesagt: Du kommst zu uns, dann kommen wir auch zu dir.“

Wichtig sei es, den Raum zu schaffen, damit die Menschen sich eigenverantwortlich in der Gemeinde einbringen können. So etwas entstehe nicht von alleine. Man müsse zueinander finden. „Man muss einen bestimmten Geist wecken, den habe ich hier gesät“, nennt Thomas Delventhal den Grund, warum sich in seiner Kirchengemeinde so viele Menschen ehrenamtlich einbringen. Hier herrsche ein Geist der Offenheit, Wertschätzung und Freundlichkeit, sodass jeder sich eigenständig einbringen kann. „Bei uns ist vieles möglich.“ Wenn jemand eine Idee oder einen Impuls für etwas Neues gebe, werde hier im Kirchenvorstand dies wohlwollend aufgenommen und versucht zu unterstützen. „Bei uns ist der Gestaltungsspielraum für jeden einzelnen unendlich groß, sonst wären Projekte wie das Kirch-Café, die Grillabende mit Musik, der Ausbau der Kirchscheune zum Veranstaltungsort mit der Übertragung der Fußball-Weltmeisterschaften, die Gründung der Stiftung „Lebendiges Meinerdingen“, der Friedpark, die Gründung des Friedhofsteams und vieles, vieles mehr nicht möglich geworden.“

750-Jahrfeierlichkeiten der Meinerdinger Kirche

Ein besonderer Höhepunkt waren für die Meinerdinger Kirchengemeinde und Thomas Delventhal die Feierlichkeiten zum 750-jährigen Jubiläum der Meinerdinger Kirche im vergangenen Jahr: Ausstellungen, die historische Brautmodenschau, das Sommerfest, der historische Festgottesdienst auf der Kirchwiese mit Bischof Meister. „Ich freue mich, dass die besondere Lebendigkeit und Vielfalt unserer Gemeinde in dem Buch zum Jubiläum „Wo Kirche auch zu Hause ist“ von Eckard Schulz in wunderbarer Form zusammengetragen worden ist.“

Wie groß ist die Herausforderung für ihn und die Kirchengemeinde durch das Corona-Virus und die damit verbundenen Einschränkungen? Eine Riesenherausforderung sei die Corona-Krise, gesellschaftlich und wirtschaftlich. „Auch wir müssen damit umgehen. Ich sehe es aber eher als Chance, weil ein neuer Reichtum entstanden ist, wenn ich daran denke, wie die Gottesdienste in dieser Zeit gelaufen sind. Das war ein ganz neues Erleben miteinander.“ Das treffe auch auf die Konfirmationen zu. Die seien ein echtes Highlight gewesen. „Wir haben so tolle Rückmeldungen von den Eltern bekommen.“ Natürlich sei es nicht schön, wenn jetzt Chor und alle Gruppen nicht stattfinden können. „Aber ich bin sicher, wenn das Treffen wieder möglich ist, dann werden alle sofort wieder loslegen.“ Glaubt er, dass es Kirche immer geben wird oder wird sie sich irgendwann überholt haben? Kirche werde es immer geben, wo sich Menschen zusammenfinden, um Freud und Leid zu teilen. „Dort teilen sie auch ihr Vertrauen, bieten sich gegenseitige Hilfe. Was wir Kirche nennen, lebt von den Menschen. Die werden sich an so wunderbaren Orten wie unserer Meinerdinger Kirche immer finden.“ Kirche sei eine Institution in der Welt, aber wir leben sie aus einem tiefempfundenen Glauben an Jesu Christi. „Jesus sah, hielt inne, ging hin, lud sich bei den Menschen ein und fragte, was er für sie tun kann. Das ist auch meine Berufsbeschreibung als Pastor.“

Wer Thomas Delventhal länger kennt, erlebt ihn meistens lächelnd.

Optimismus scheint in seinen Genen besonders stark ausgeprägt zu sein. Ja, das sei seine innere Grundhaltung. „Ich habe Vertrauen ins Leben, dass alles seinen Sinn hat. Und ich erhalte sehr viel Kraft aus meiner Familie“, betont er. Denkt er jetzt eigentlich schon häufiger an den Ruhestand am 31. August 2026? Er bejaht das. „Das war, als ob bei meinem 60. Geburtstag ein Schalter umgelegt wurde“, schmunzelt er. Überwiegt mit Blick auf den Ruhestand eher die Vorfreude oder Angst? „Angst sowieso nicht“, ist der Teil der Frage schnell erledigt. Manche Dinge mache er heute vielleicht moderater und sachter. Für ihn sei es schön, aus der vorhandenen Lebendigkeit dieser Kirchengemeinde nach vorne in Richtung des Ruhestandes zu schauen.

Wie er mit seiner Sigrid den Ruhestand verbringen will? „Ich möchte auf jeden Fall kein Wohnmobil haben müssen“, sagt er ironisch. Viel am Wasser, in Cafés und Biergärten, an der Alster, am Maschsee und anderen schönen Orten möchte er sein. Walsrode will das Ehepaar treu bleiben oder in die Nähe der Kinder ziehen. Was er vermissen wird? „Dieses wunderbare Miteinander, die Grillabende. Alles, was so intensiv Spaß macht und unsere Arbeit ausmacht, wo eben auch Grillabende mit hunderten Besuchern von theologischer und gemeindlicher Bedeutung sind.“ Er amüsiere sich immer wieder, wenn er immer neue Papiere lese, was Kirche sein oder werden müsse. „Was da drin steht und diskutiert wird, das leben wir hier schon immer alles in der Praxis jeden Tag.“ Nach 25 Jahren Dienstzeit kann das wohl keiner besser beurteilen als Meinerdingens Pastor Thomas Delventhal.

Eckard Schulz