St.-Georg-Kirche im Mai 2016

 © Birger Schwarz

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

Wunschzettel im Elektronikzeitalter

Nachricht Meinerdingen, 27. November 2022

Als zu Weihnachten Geschenkewünsche noch gemalt und Gedichte gelernt wurden

Haben die Kinder schon ihren Wunschzettel für Weihnachten fertig?“ Die „Kinder“ sind meine Enkelkinder, inzwischen 12 bis 17 Jahre alt. Und die Frage an meine Töchter ist damit eher rhetorisch gemeint. Klar. Jasper, Fenna, Josefine und Cornelius setzen sich nicht mehr hin und malen auf einem Blatt Papier auf, was sie sich „vom Weihnachtsmann“ wünschen. Auch aufgeschrieben wird nichts mehr. „Ich schick dir einen Link.“ Die Antworten kommen prompt per Whatsapp. Der Wunsch ist in blauer Farbe markiert. Draufklicken und ich sehe, was sich die lieben (groß gewordenen) Kleinen unterm Weihnachtsbaum wünschen. Das Erfüllen von Weihnachtswünschen ist im Jahre 2022 ein sehr pragmatischer Vorgang. Da wird nichts mehr in der Weihnachtsmann-Werkstatt aus den Regalen geholt, um es mit dem Rentierschlitten pünktlich zur Bescherung auszuliefern. Na gut. Ich gebe zu. Daran habe ich als Kind auch nie geglaubt. Ich habe das mit dem Rentierschlitten und dem bärtigen Mann, der nicht mehr Weihnachtsmann, sondern Santa Clause hieß, erst im Erwachsenenalter erfahren, als ich einen amerikanischen Spielfilm sah. Aber als Kind war der Weihnachtsmann für mich gesetzt. Den gab es! Bei uns zu Hause gab es nie große Geschenke. Dafür reichte das Geld nicht. Mein Bruder und ich haben aber auch nie etwas vermisst. (Das ist nicht ganz richtig: Wenn wir Verwandte in Hamburg besuchten, weil in dem Kaufhaus, in dem meine Tante arbeitete, Ausverkauf für Familienangehörige war und wir neu eingekleidet werden sollten, sah ich jedes Jahr dies tolle, knallrote Tretauto. Ich hätte auf jede neue Hose und Jacke verzichtet… Ich habe nie ein Tretauto bekommen.)

Zu Weihnachten haben wir Wunschzettel gemalt, später die Wünsche in Schreibschrift aufgeschrieben. Unsere Kontaktperson zum Weihnachtsmann war unsere Mutter. Wie das mit der Übergabe genau funktionierte, interessierte meinen Bruder und mich eigentlich nicht. Das war Vertrauenssache. Unsere Wunschzettel waren nicht unendlich lang. Mein Bruder hatte sich früh auf eine elektrische Eisenbahn fokussiert. Irgendwann kam der Weihnachtsmann trotz des Preises nicht dran vorbei. Auf dem Wunschzettel hatte nur die Eisenbahn gestanden. Ich war da eher breit gefächerter aufgestellt. Von Büchern über Autos bis hin zu einer Spielzeugtrommel, weil ich immer im Spielmannszug dabei sein wollte, aber nicht durfte. Die Trommel war aus Blech, entsprechend laut, wenn ich mit der Trommel am Bauch durchs Wohnzimmer marschierte. Als ich dann Spielmannszug spielte und die Trommel nach dem Spiel hochklappen wollte, habe ich sie mir mit dem Metallrand voll auf die Nase gehauen. Das Gastspiel war beendet. Neben den Wunschzetteln gehörte noch etwas zu Weihnachten, besser gesagt zur Bescherung dazu. Bevor Geschenke ausgepackt werden durften, mussten wir ein Gedicht aufsagen. Ich habe immer bei unserer Nachbarin, Frau Vollmerhaus, geübt. „Tante“ Vollmerhaus (wir haben als Kinder alle Erwachsenen aus dem Umfeld unserer Eltern mit „Onkel“ oder „Tante“ angesprochen) war meine Geheimnisträgerin. Sie hat mich abgehört, geholfen, wenn das mit den Reimen mal nicht so gut klappte. Heilig Abend war „Oma Kuckuck“, wie meine Töchter später „Tante“ Vollmerhaus wegen ihrer Kuckucksuhr liebevoll nannten, dann oft bei uns und erlebte meinen Auftritt mit.

Ist alles anders geworden. Logisch. Keiner kann und sollte die Zeit zurückdrehen. Ich glaube allerdings, dass ein Teil der Magie, die in dieser Zeit rund um Weihnachten herrschte, verloren gegangen ist. Die kann man nicht per Smartphone und Emojis weiterleiten. Das ändert aber nichts daran, dass Weihnachten das Fest der Liebe ist und bleibt. Auch im Elektronikzeitalter und trotz oder gerade wegen der Corona-Erfahrungen kann ein „In-den-Arm-nehmen“ das größte Geschenk sein, das man einander machen kann.

Eckard Schulz