St.-Georg-Kirche im Mai 2016

 © Birger Schwarz

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

Seelsorge als mitmenschliche Medizin

Nachricht Meinerdingen, 06. Juni 2022

Seit zehn Jahren ist das Team der ehrenamtlichen Seelsorgerinnen in Meinerdingen aktiv

Anne Wippermann hat in ihrem Leben schon viele Aufgaben erfüllt, in denen es darum ging, Menschen in besonderen Situationen besondere Hilfe zu leisten. Die Pastorin weiß auch aus dieser Erfahrung heraus eines sicher: „Dem Menschen geht es nur gut, wenn es auch der Seele gut geht.“ Darum traf der Wunsch von Meinerdingens Pastor vor zehn Jahren bei ihr auf offene Ohren. Gemeinsam wollten sie Menschen aus der Kirchengemeinde seelsorgerische Hilfe anbieten. Anne Wippermann und die fünf ausgebildeten ehrenamtlichen Seelsorgerinnen, die zum Team gehören, wissen, wie wichtig die Arbeit ist. Gerade während, aber auch nach der Coronazeit und seit dem Beginn des Krieges in der Ukraine wird die Einsamkeit von Menschen zu einem wachsenden Problem.

Anne Wippermann ist viel unterwegs. Sie wohnt mit ihrem Mann in Bad Salzdetfurth. Doch menschliche Probleme machen nicht an kommunalen Grenzen halt. Lange Jahre war sie als Seelsorgerin am Walsroder Krankenhaus tätig. Und auch dort dauerte es einige Zeit, bis alle begriffen, wie wichtig es ist, sich mit Worten und Gesten um Patienten zu kümmern, der Seele diese mitmenschlicher Medizin zu schenken. 2012 wurden die ersten ehrenamtlichen Seelsorgerinnen im Rahmen eines Gottesdienstes den Meinerdingern vorgestellt. 60 Stunden Ausbildung mit sieben Studientagen und drei Praxistagen in einem Seniorenheim lagen hinter ihnen. Vorab gab es intensive Einzelgespräche, um zu ermitteln, ob die Interessenten wirklich für die Aufgabe geeignet sind oder sich nicht selbst überfordern.

Heute bilden Monika Dransfeld, Anne Fischer, Viola Kömp, Ursula Langguth und Renate Schäfer das Team. Einmal im Monat treffen sie sich mit Anne Wippermann zur Supervision. „Das ist unglaublich wichtig, weil wir die Ehrenamtlichen nicht allein lassen dürfen“, weiß die Seelsorgerin, die sich auch noch in der Telefonseelsorge in Soltau und von ihrem Wohnort aus in anderen Projekten engagiert und Ehrenamtliche ausbildet.

Zeit zum Zuhören und Reden sind das Wichtigste, das die ehrenamtlichen Seelsorgerinnen bei ihren Besuchen mitbringen. Die Kontakte stellt meistens Pastor Delventhal her. Reden und Zuhören als Mittel gegen Einsamkeit, nach dem Verlust geliebter Menschen oder des eigenen Zuhauses durch Umzug in ein Seniorenheim, das sind meistens die Inhalte, um die sich die Gespräche drehen. Ein bis zwei Personen werden von den Ehrenamtlichen regelmäßig betreut. Wie lange die Betreuung dauert, ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Anne Wippermann weiß, dass die Gruppe an die Grenzen der Leistungsfähigkeit stößt. „Wir brauchen dringend mehr Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen. Darum wollen wir in Kürze in Meinerdingen eine Informationsveranstaltung starten und neue Ehrenamtliche suchen und ausbilden“, kündigt sie an.

Anne Wippermann strahlt stets Ruhe und Freundlichkeit aus. Doch es fällt ihr schwer, im Rückblick auf die vergangenen zwei Jahre gelassen zu bleiben. Corona habe alle an die Grenzen gebracht. „Das war für alle sehr schwer. Eigentlich war die seelsorgerische Arbeit in dieser Zeit nötiger denn je. Aber es ging nicht. Die Heime haben dicht gemacht. Die alten Menschen waren ganz allein, weil auch das Pflegepersonal die Kontakte aus Vorsicht eingeschränkt hat.“

Kontakte zu den ehrenamtlichen Seelsorgerinnen habe es fast nur übers Telefon gegeben, und das auch nur sehr reduziert. „Wir wissen, da warten Menschen, die dringend Hilfe brauchen, und wir können nicht zu ihnen.“ Diese Situation sei für die Betroffenen, aber auch für sie Seelsorgerinnen unglaublich schwer gewesen. Das sei dann der Moment, wo auch die Helferinnen Hilfe benötigen. Darum sei es bei einer der Supervisionen in der Coronazeit auch um die „eigene Seele“ gegangen. „Man muss gut für die eigene Seele sorgen, damit man auch gut für andere sorgen kann“, ist einer ihrer Leitsprüche für die Arbeit.

Anne Wippermann glaubt, dass viele Menschen während der Coronazeit an Einsamkeit gestorben sind. Gerade in Krisen sei die seelsorgerische Arbeit sehr wichtig. Das totale Abschotten speziell der alten Menschen in den Heimen sei unbarmherzig gewesen. Sie wolle niemanden aus der Politik verurteilen. „Da sind ganz viele politische Entscheidungen getroffen worden, die aus der Angst heraus entstanden sind. Aber dadurch haben viele Menschen sehr gelitten. Seelsorge war nicht möglich, aber Seele und Genesung hängen ganz eng zusammen“, gibt sie zu, dass auch für sie die Situation oft unerträglich war.

Kontakt, auch Hautkontakt sei überlebenswichtig. „Natürlich nicht aufgedrängt, nur wenn es gewünscht wird“, hebt Anne Wippermann hervor. Man lerne, wie weit man gehen kann, sagt Viola Kömp. Doch es sei für beide Seite wichtig, wenn man sich beim Besuch auch in die Arme nehme. „Man muss Interesse an Menschen haben, muss Menschen mögen, sich für sie interessieren“, antwortet die ehrenamtliche Seelsorgerin auf die Frage, welche Voraussetzungen man mitbringen müsse, um diese Tätigkeit auszufüllen. „Und man muss ein großes Herz haben, jeden nehmen, wie er ist, weil wir alle von Gott geliebt werden“, fügt Anne Wippermann hinzu. Monika Dransfeld bestätigt, dass es aber auch passieren kann, dass die Chemie zwischen beiden Seiten nicht stimmt. Dann müsse man die Beziehung rasch abbrechen. „Es soll schließlich allen gut gehen“, bestätigt Wippermann. Die Ausbildung sei enorm spannend gewesen, erzählt Renate Schäfer. Diese Tätigkeit sei ein Geben und Nehmen. Alle im Team hätten selbst erfahren, wie es ist, in besonderen Lebenslagen Hilfen anzunehmen. Und manchmal sei es das Wichtigste, nichts zu sagen, gemeinsam zu schweigen. „Das muss man auch aushalten, wenn nichts gesagt wird“, betont sie.

Die Frauen aus dem Team sind sicher, dass erst in ein paar Jahren deutlich wird, wie tief die Spuren sind, die die Coronazeit hinterlassen hat. Monika Dransfeld erzählt, dass bei vielen Älteren während der Coronazeit und der damit verbundenen Einsamkeit ganz viele Kriegserfahrungen hoch gekommen seien. „Einige hatten plötzlich Panik-Attacken. Und jetzt kommt der Ukrainekrieg noch erschwerend hinzu.“

Anne Wippermann ist sicher, dass die Coronafolgen die Seelsorge vor neue Herausforderungen stellen wird. Viele Menschen hätten sich isoliert, würden gar nicht mehr rauskommen. Da sei dann die Frage zu beantworten, wie man zu ihnen Kontakte aufbaut. „Menschen müssen Kontakte zu Menschen haben. Das ist auch ein Überlebensbedürfnis“, weiß sie.

Und sie ahnt auch, dass möglicherweise schon sehr bald eine neue Herausforderung auf die ehrenamtliche Seelsorge zukommt. „Wir hatten bisher nur mit alten Menschen zu tun. Doch Corona hat auch bei jungen Menschen tiefe Spuren hinterlassen. Sie brauchen diese seelsorgerische Hilfe genauso.“ Man werde sich neu und anders darauf vorbereiten müssen. „Ich bin sicher, dass wir hier in Meinerdingen auch diese Aufgabe gemeinsam meistern werden und ein Hilfsangebot aufbauen. Hier in Meinerdingen ist mit Pastor Delventhal ganz viel möglich, und ich habe da spontan auch schon Ideen, wie wir betroffene Jugendliche in der Kirchengemeinde erreichen können“, sagt Anne Wippermann. Wer sie kennt, weiß, dass es nicht bei der Idee bleiben wird, auch wenn das wieder einmal mit zusätzlichen Fahrten aus Bad Salzdetfurth in den Heidekreis verbunden sein wird.

Eckard Schulz