St.-Georg-Kirche im Mai 2016

 © Birger Schwarz

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

© Birger Schwarz / Kirchengemeine Meinerdingen 

Die Erhaltung kulturellen Erbes

Nachricht Meinerdingen, 06. Juni 2022

Meinerdinger Kirchturm wird seit Ostern von Grund auf restauriert

Missverständnisse im Sprachgebrauch räumt Veith Grünwald gleich aus. Er ist zwar Diplom-Restaurator. Doch was er und die Zimmerleute seit Ostern am Meinerdinger Kirchturm vornehmen, ist keine Restauration, sondern eine Restaurierung. Das eine habe mit dem gastronomischen Bereich zu tun, die Restaurierung mit der Erhaltung alter Bauwerke. Und alt ist der Meinerdinger Kirchturm. Dr. Stefan Amt von der Technischen Universität in Braunschweig hat erst Anfang der 2000er Jahre bei einem wissenschaftlichen Projekt mit Studenten festgestellt, dass der hölzerne Kirchturm fast 200 Jahre älter ist, als bisher gedacht. Auf 1383 wurde nach den speziellen Untersuchungen das Baudatum für den Kirchturm festgelegt. Nach bisherigem Kenntnisstand ist der Meinerdinger Kirchturm damit „das älteste erhaltene Exemplar dieses Bautyps in Niedersachsen – und eventuell auch darüber hinaus“, hat Dr. Amt niedergeschrieben.

Auch wenn der hölzerne Kirchturm höher als die Meinerdinger Kirche ist, steht er eindeutig in deren Schatten. Ein wenig ähnelt er dabei dem Berufsbild von Veith Grünwald. Wenn es um die Restaurierung bei Kirchengebäuden geht, sehen Außenstehende zunächst Restauratoren, die auf Gerüsten mit Lupe und Pinzette an Kirchendecken ganz besondere, jahrhundertealte Fresken oder Bilder freilegen, die wann auch immer mit Farbe überstrichen worden waren. Veith Grünwald arbeitet mit groberem Handwerkszeug.

Diplom Restaurator hat er studiert, sich während des Studiums schon auf handfeste Arbeiten spezialisiert. Eine Tischlerlehre hat er vorher absolviert. „Es macht mir einfach Freude, etwas anpacken zu können“, sagt er. Doch auch wenn es draußen an einem hölzernen Turm robuster zugeht als bei filigranen Arbeiten mit Pinsel und Pinzette, bleibt eines gleich: „An solche Arbeiten geht man mit Ehrfurcht ran. Da haben Generationen von Handwerkern dazu beigetragen, dass so ein Bauwerk von 639 Jahren erhalten worden ist. Was wir hier jetzt machen, ist die Erhaltung kulturellen Erbes“, sagt der gebürtige Regensburger, der mit seiner Familie in Hildesheim lebt.

Gleich nach Ostern haben die Arbeiten am Kirchturm begonnen. Das Gerüst an dem insgesamt 16,30 Meter hohen hölzernen Gebäude (Angabe aus dem Bericht von Dr. Amt) macht auch Vorbeifahrenden deutlich, dass sich hier etwas Außergewöhnliches tut. Die 639 Jahre sind an dem Turm nicht spurlos vorübergegangen. Besonders an der Wetterseite haben Sonneneinstrahlung, Wind und Regen dafür gesorgt, dass ursprünglich vier Zentimeter dicke Eichenbohlen nur noch wenige Millimeter dick sind.

Veith Grünwald weiß, dass in der Vergangenheit bei der Sanierung historischer Bauten oft örtliche Handwerker die Aufträge erhielten. „Nichts gegen die Kollegen aus dem Handwerk, aber hier geht es wirklich um besonderes Wissen und darauf basierende Fähigkeiten“, betont der Restaurator. Gerade in den 80er Jahren sei es immer wieder vorgekommen, dass alte Fachwerkbauten „kaputt restauriert“ worden seien. Damals seien neue Anstrichfarben verwendet worden, die den Gebäuden schadeten. „Wir haben aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt.“ So behutsam wie möglich gehe man bei der Restaurierung vor. Restauratoren würden heute so arbeiten, dass das, was sie heute tun, ersetzt werden kann, wenn es neue, bessere Möglichkeiten und Materialien geben sollte.

„Handwerk gut zu beherrschen, ist auch eine Kunst“, antwortet Grünwald auf die Frage, ob er manchmal neidisch ist, dass Restauratoren bei Arbeiten in Kirchen mehr in der Öffentlichkeit
stehen, als er und seine Kollegen. „Wir bauen hier sieben Meter lange und einen halben Meter breite Eichenbohlen am Turm an“, nennt er ein Beispiel. Dieser alte Turm besitze eine kulturhistorische Bedeutung. Er spiegele einen Teil der Lebenswelt der Menschen von früher wider. An der Restaurierung und damit Erhaltung dieses Bauwerks federführend arbeiten zu dürfen, mache ihn stolz. Und der Meinerdinger Holzturm sei schon etwas ganz Besonderes. Das habe auch Dr. Amt bei seinen Untersuchungen über die hölzernen Kirchtürme in dieser Region hervorgehoben. „Bei uns in Regensburg gibt es so etwas nicht.“

Im Idealfall würden Beruf und Berufung eines sein. „Ich liebe Holz. Ich kann mit meinen Händen etwas Bleibendes schaffen, was einen selbst überdauert und in dem ganz viel Geschichte steckt. Da lässt sich auch viel über die Handwerkstechniken der Jahrhunderte ablesen“, schwärmt Veith Grünwald. So könne man quasi nebenbei auch noch selbst etwas lernen, sagt der Restaurator, der auch noch Denkmalpflege studiert hat. Er hat im Auftrag der Landeskirche auch das Gutachten über den Zustand des Meinerdinger Kirchturm erstellt.

Die Standfestigkeit des Turm sei auf jeden Fall gegeben. Das Holzskelett werde jetzt statisch mit Holz ertüchtigt. An der Eingangstür haben die Zimmerleute der Dorfmarker Firma Lüters bereits einen dicken Eichenbalken als neue Schwelle eingebaut. Die Holzverkleidung wird so weit restauriert, dass kein Wasser ins Gebäude eindringen kann. Natürlich versuche man, historisches Holz für die Restaurierung zu bekommen. „Aber wir bauen auch neues Holz ein, das wäre sonst unbezahlbar.“ Historisches Restholz, das beim Auswechseln der Balken anfällt, wird aber wieder verwendet, erklärt Grünwald und zeigt auf eine Stelle, an der ein herausgefallenes Astloch mit einem Stück uraltem Holz von ihm gefüllt wurde. Fünf große Säcke Vogelnester („natürlich alle leer“) und Laub hat er aus den vielen vorhandenen Specht- und Astlöchern gesammelt.

Seit 25 Jahren ist er im Rahmen der Baudenkmalpflege tätig, seit 15 Jahren ist er selbstständig. Zur Frage, wie viele Mitarbeiter er hat, kommt die Antwort: „Ich bin die ganze Firma.“ Ab und an beschäftige er Praktikanten. Am Meinerdinger Kirchturm gehören die Zimmerleute von Manfred Lüters aus Dorfmark und Maurer aus Langenhagen zum Team.

Bei der Frage, was für ihn im Rückblick das herausragendste Objekt als Restaurator gewesen ist, denkt er nach und liefert eine überraschende Antwort. Mit einer Kollegin habe er in einem Museum über 600.000 Objekte auf Schädlingsbefall untersucht. Das sei für ihn schon eine wirklich besondere Herausforderung gewesen.

Bis zum Sommer sollen die Restaurierungsarbeiten am Meinerdinger Kirchturm beendet werden. Er selbst lernte die Kirche und den Kirchturm erst kennen, als er das Gutachten erstellte. Walsrode habe er nur im Zusammenhang mit dem Vogelpark gekannt. Und sieht der Restaurator in naher Zukunft auch Handlungsbedarf für die Meinerdinger Kirche? Nein, beruhigt er. Danach sehe es aktuell nicht aus.

Eckard Schulz